Die Begegnung mit der Schöpferin
Spirituelles Lernen- aus Geschichten Bewusstsein und Unterbewusstsein
Die Begegnung mit der Schöpferin
Es war einmal ein Wanderer namens Bewusstsein. Er war stets unterwegs, immer auf der Suche nach dem nächsten Ziel, dem nächsten Berg, den er erklimmen konnte. Sein Blick war scharf, gerichtet auf das Ferne. Jeder Schritt sollte eine Spur hinterlassen, etwas Greifbares, Messbares. Er trug eine Landkarte bei sich, die er in langen, mühsamen Nächten gezeichnet hatte. Jeder Weg, jedes Ziel war genau festgelegt. Doch je weiter er wanderte, desto schwerer wurde seine Tasche, die er mit Trophäen und Erfolgen gefüllt hatte. Und desto leerer fühlte er sich.
Eines Tages, als er den höchsten Gipfel erreicht hatte und triumphierend in die Ferne blickte, spürte er plötzlich eine tiefe, unbestimmte Leere in seiner Brust. Der Wind wehte kalt, und der Himmel erschien ihm grau, obwohl die Sonne schien. Etwas fehlte – ein seltsamer Hunger, den er nicht benennen konnte. Er setzte sich auf einen Felsen und sah hinab auf die Welt. Er hatte alles erreicht, was er sich je vorgenommen hatte. Doch warum fühlte er sich so leer, so ausgelaugt?
Da, im sanften Spiel der Wolken, erschien ihm eine Gestalt. Sie kam nicht aus der Ferne, sondern schien aus ihm selbst aufzutauchen, wie ein Schatten, der schon immer da gewesen war. Ihre Augen waren tief wie Seen, und ihr Lächeln trug die Weisheit der Jahrhunderte. Das war das Unterbewusstsein. Die stille Begleiterin, die ihn seit Anbeginn seiner Reise im Verborgenen geführt hatte, deren leise Stimme er jedoch nie gehört hatte.
„Warum bist du hier?“, fragte Bewusstsein misstrauisch. „Ich habe alles erreicht. Ich kenne alle Pfade, alle Gipfel, und dennoch fühle ich mich…“ Er brach ab, unsicher, wie er seine Empfindungen in Worte fassen sollte.
„Erschöpft?“, flüsterte das Unterbewusstsein, ihre Stimme klang wie das Rauschen des Wassers tief unter der Erde. „Weil du nur den halben Weg gegangen bist.“
„Den halben Weg?“ Bewusstsein runzelte die Stirn. „Ich habe alle Ziele erreicht, ich habe alles gesehen, was es zu sehen gibt!“
„Alles, was dein Verstand begreifen kann“, antwortete sie sanft. „Du hast nur im Licht gesucht, immer mit den Augen auf den Sternen. Doch du hast vergessen, wer dich trägt. Du hast die Tiefen, die in dir schlummern, nie betreten. Der Weg zur Erfüllung führt nicht nur nach oben, sondern auch nach unten – in die Dunkelheit, in die Tiefe. Dort liegt die wahre Quelle der Schöpfung.“
Das Bewusstsein wollte widersprechen, doch die Wahrheit ihrer Worte war wie ein schwerer Stein in seiner Brust. Er sah auf seine leere Tasche, die trotz all ihrer Trophäen so schwer geworden war. Wie konnte es sein, dass all die Ziele ihn nur leerer machten?
„Komm“, sagte das Unterbewusstsein, „ich zeige dir einen anderen Weg.“ Und mit einem sanften Flügelschlag breitete sie ihre Arme aus, und die Welt um sie beide verwandelte sich.
Sie führten ihn hinunter in das Tal. In eine Landschaft, die ihm fremd und vertraut zugleich erschien. Dort gab es keinen festgelegten Pfad, keine klaren Landkarten, sondern nur dichte Nebel und den sanften Glanz von Sternen, die in verborgenen Seen leuchteten. Bäume erhoben sich wie Träume aus dem Boden, ihre Wurzeln reichten tief in die Erde, wo ein sanftes, rhythmisches Schlagen zu hören war – das Herz der Welt selbst.
„Was ist dieser Ort?“, flüsterte Bewusstsein ehrfürchtig.
„Das ist der Raum des Ungeborenen, des Ungeformten“, sagte das Unterbewusstsein. „Hier entsteht alles, was du oben suchst. Es ist die Tiefe deines Wesens, die Quelle, aus der all deine Ziele geboren werden. Du versuchst, nur aus dem Verstand zu schöpfen, doch ohne diesen Ort hier, ohne diese Dunkelheit, ist deine Schöpfung leer.“
Er sah zu, wie aus dem Nebel Bilder emporstiegen – Gedanken, Gefühle, Wünsche, die er längst vergessen hatte. Eine Vision von einem kleinen Kind, das barfuß auf einer Blumenwiese tanzte. Der Geruch von frischer Erde nach einem Sommerregen. Der tiefe Wunsch, einfach nur zu sein – ohne zu erreichen, ohne zu messen. Jede Erinnerung strahlte wie ein Juwel und erfüllte ihn mit einem Gefühl, das er seit langem nicht mehr gekannt hatte: Ganzheit.
„Du bist leer, weil du nur das greifbare Licht suchst, die Ziele, die Materie“, flüsterte das Unterbewusstsein. „Doch das Licht kann nur leuchten, wenn es im Schatten geboren wird. Nur wenn du aus beiden schöpfst – aus der Dunkelheit und dem Licht – wirst du ganz sein.“
Da erschien eine weitere Gestalt aus dem Nebel. Sie war größer und heller als das Unterbewusstsein, ihr Haar war wie fließendes Gold und ihre Augen leuchteten wie die tiefsten Quellen der Erde. Es war die Schöpferin selbst. Sie trat zu Bewusstsein und legte ihre Hand auf sein Herz.
„Willkommen“, sagte sie leise, „du bist endlich hier angekommen. Du bist zu mir gekommen, nicht um zu erreichen, sondern um zu empfangen. In dir gibt es so viel mehr, als du je ahnen konntest. Wenn du aus beiden Räumen schöpfst – aus dem bewussten Licht und der unbewussten Tiefe –, wirst du niemals leer sein. Du wirst die Quelle selbst sein.“
Bewusstsein schloss die Augen. Zum ersten Mal ließ er los – die Karten, die Ziele, die Pläne. Er tauchte ein in das Unbekannte, das sanfte Fließen der Tiefen. Und in diesem Moment, in der vollkommenen Stille, fühlte er sich erfüllt. Kein Ziel, kein Berg konnte dieses Gefühl ersetzen. Es war, als wäre er endlich ganz.
„Du bist nicht hier, um nur zu nehmen oder zu geben“, sagte die Schöpferin, ihre Stimme sanft wie der Mondschein. „Du bist hier, um zu schöpfen – aus dem Unendlichen. Aus mir. Aus dir.“
Und so begann seine wahre Reise – nicht mehr als Wanderer, der Ziele sucht, sondern als Schöpfer, der im Einklang mit der Quelle wandelt.
ADUM.
So sei es.